Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den sogenannten Widerrufsjoker für Immobilienkredite und Kfz-Finanzierungen neu aufleben lassen.
In einem bahnbrechenden Urteil vom 26.03.2020 hat der EuGH (Rechtssache C-66/19) entschieden, dass die meisten privaten Kreditverträge, die nach Juni 2010 abgeschlossen worden sind, in ihren Widerrufsbelehrungen unzureichende Informationen verwenden.
Statt in den oftmals standardisierten Widerrufsbelehrungen die Pflichtangaben für Verbraucher übersichtlich aufzuzählen, findet sich in diesen nur ein Verweis auf den Paragrafen 492 Abs. 2 BGB.
In Paragraf 492 Abs. 2 BGB heißt es, dass der Vertrag die für den Verbraucherdarlehensvertrag vorgeschriebenen Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten muss.
Um welche vorgeschriebenen Angaben es sich tatsächlich handelt, wird in den Belehrungen nicht mitgeteilt. Vielmehr ist der Verbraucher darauf angewiesen, die Verweise auf andere Gesetzesstellen über mehrere Gesetzesbücher hinweg selbst zu studieren, um sich so die nötigen Informationen mühsam selbst zusammen zu suchen.
Ein solcher „Kaskadenverweis“ ist nach Auffassung der EuGH-Richter für Verbraucher unzumutbar und mit dem europäischen Recht auch nicht zu vereinbaren. Die Belehrung versetzt den Verbraucher gerade nicht in klarer und prägnanter Form in die Lage, den Beginn der Widerrufsfrist selbst zu berechnen.
Kreditverträge, die eine solche unzureichende Belehrung verwenden, können daher entsprechend des EuGH-Urteils auch heute noch widerrufen werden, weil die 14tägige Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen hat. Dies ist mit dem sogenannten Widerrufsjoker gemeint.
Für Verbraucher ist das Urteil in zweierlei Hinsicht relevant:
Baufinanzierungen: Immobilienkäufer, die zwischen Juni 2010 und März 2016 eine Baufinanzierung aufgenommen haben, können den Widerruf dazu nutzen, um vorzeitig aus Finanzierungsverträge auszusteigen. Über den „ewigen“ Widerruf können Immobilienbesitzer sofort zu den aktuell niedrigen Zinsen umschulden und damit erhebliche Zinsersparnisse erreichen. Eine ansonsten anfallende Vorfälligkeitsentschädigung wird bei einer Umschuldung über den Widerrufsjoker nicht fällig.
Kfz-Finanzierungen: Diejenigen, die nach Juni 2010 mit einem Kredit- oder Leasingvertrag ein Auto finanziert haben, erreichen über den Widerruf der Finanzierung, dass das Fahrzeug zurückgegeben werden kann und der Käufer seine Anzahlung und sämtliche Raten zurückerstattet bekommt. Das ist besonders für jene Diesel-Besitzer interessant, die aktuell unter dem enormen Wertverfall ihrer Fahrzeuge leiden. Doch der Widerruf ist unabhängig davon möglich, welches Fahrzeug finanziert worden ist.
Das bahnbrechende Urteil des EuGH bietet den betroffenen Verbrauchern damit die Chancen, vorzeitig aus ihren Finanzierungsverträgen mit ihren Banken und Sparkassen auszusteigen, um zu den aktuell sehr günstigen Zinskonditionen umzuschulden. Die Chancen war nie so günstig.